Beschreibung der verbreiteten Gedichtformen

Die Lyrik hat sich in der Antike aus der Textbegleitung des Lyraspiels entwickelt, das bedeutet, wie noch heute mit dem englischen Wort 'lyrics' für den Songtext eines Liedes ausgedrückt wird, der lyrische Text gehörte zu einer Musik.
Damit wird bereits das Wesen der Lyrik beschrieben. Sie musste sich den Anforderungen der Musik unterordnen. Man versteht Lyrik daher am besten, wenn man erst einmal überlegt, aus welchen Elementen Musik besteht.

Gerade bei moderner Musik fällt die starke Dominanz eines exakten Rhythmusses auf. Musikalisch nennt man diesen Metrik oder Takt. Die einzelnen Takte sind wiederum in betonte und unbetonte Noten gegliedert, die immer wieder in der gleichen, wiederkehrenden Folge auftreten bzw. ein erfühlbares Muster erkennen lassen.
Es ist logisch, dass sich ein für diese Musik geschriebener Text ebenfalls an diese Kriterien halten musste, um nicht mit der Musik in Konflikt zu geraten. Ein Schlagzeuger einer Musikband, der nicht in der Lage ist, den Rhythmus eines Musikstückes wie ein Uhrwerk (ein Metronom) einzuhalten, wird niemals erfolgreich sein. Ein Gedicht, das auffällige rhythmische Fehler aufweist, wird ebensowenig größere Beachtung finden. Es muss daher als erste Grundvoraussetzung aus sich ständig wiederholenden und gleichartigen Folgen betonter und unbetonter Silben bestehen. In der Textdichtkunst nennt man diese Folgen Versmaß, Versfuß oder ebenfalls Metrik.

Entsprechend der verschiedenen Musiktakte gibt es daher auch unterschiedliche Versmaße, die ich hier nur kurz anführen möchte. Zu beachten ist, dass die Silbenzahl der Versfüße nicht bedeutet, dass auch die zugehörigen Worte die gleiche Silbenzahl haben müssen. Ein zweisilbiges Versmaß kann also auch mit einem einsilbigen und einem folgenden dreisilbigen Wort oder vier einsilbigen Worten realisiert werden. Die Silbenzahl des Versmaßes bedeutet schlicht, dass nach der letzten Silbe des Versmaßes dieses erneut von vorn beginnt, - so lange, bis alle Worte des Gedichtes metrisch bestimmt sind.

Ich möchte hier kurz die wichtigsten Versmaße beschreiben und verwende hier folgende Symbole:
_ = betonte, lange Silbe
. = unbetonte, kurze Silbe Nun gibt es in der Musik sehr viel mehr unterschiedliche Rhythmen und es werden ständig neue entwickelt. Das gilt auch für die Wortkunst. Es sind nicht nur weitere und aus den oben genannten kombinierte Metriken verbreitet, sondern jeder kann entsprechend der Kunstfreiheit seinen eigenen Gedichtrhythmus entwickeln. Wichtig ist nur, dass dieser Rhythmus so exakt eingehalten wird, dass der Leser oder Zuhörer ihn erfassen kann. Ein holperndes Gedicht als Kunstfreiheit und eigenen Stil zu definieren, wird von Lesern nicht akzeptiert, vielmehr vermutet der Leser hinter dem Gedicht einen völligen Amateur und das wollen Sie wohl nicht auf sich sitzen lassen. Das ist auch der Grund für diesen Exkurs.

Nun besteht ein Lied nicht nur aus dem Rhythmus, sondern auch aus einer Melodie. Auch hier gibt es je nach Zielgruppe des Liedes völlig unterschiedliche Klangfarben. Die Melodie kann hektisch, einpeitschend, monoton, gefühlvoll oder getragen sein. Welche Klangfarbe der Künstler wählt, hängt direkt damit zusammen, welche Aussage hinter seinem Lied steht. Der 'Sound' dient dazu, den Hörer zu stimulieren, sich mit dem Liedinhalt, also dem Text zu identifizieren. Dabei kann die Musikrichtung sogar innerhalb des Liedes ändern, wenn sich z.B. die Aussage in eine andere Richtung bewegt.
Das ist bei einem Gedicht nicht anders. Der Text hat einen Inhalt, jedoch besitzt jedes einzelne Wort eine individuelle Klangfarbe. So kann beim Lesen des Textes eine Sprachmelodie entstehen, aber falsch gewählte Worte können auch genau das verhindern. So reicht mitunter ein einzelnes Wort die 'Melodie' eines Gedichtes ebenso grundlegend zu (zer-)stören, wie ein falscher Ton innerhalb eines Musikstückes.
Es ist daher kein Zufall, dass ein Gedicht 'schön klingt'. Es klingt so, weil der Autor die Worte nicht anders mit Mitteln der Komposition verknüpft hat, wie ein Komponist seine Melodieführung durch bewusste Wahl der Noten erreicht.

Damit ist das Wesen des Gedichtes grundlegend beschrieben. Alles Weitere ergänzt nun die Wirkung des Gedichtes. Im Prinzip benötigt ein Gedicht nicht einmal Worte, sondern lediglich Klangfarben, die auch durch Laute ohne Wortsinn erreicht werden können, wie das die Dadaisten propagiert haben. Dass dadaistische Gedichte vollwertige Gedichte sind, kann man sofort nachvollziehen, wenn man gute Gedichte in einer, einem völlig fremden Sprache hört. Auch ohne ein Wort zu verstehen, hört man sofort heraus, dass es sich um ein Gedicht handelt, ja man kann sogar bestimmen, ob es ein Liebesgedicht oder ein dramatischer Text ist. Wie bei Instrumentalmusik kann das Gedicht, dessen Inhalt verborgen bleibt, starke Emotionen erzeugen. Stellt man sich nun vor, dass es sich gar nicht um eine existierende, einem unverständliche Sprache handelt, sondern tatsächlich um Wortlaute ohne Inhalt, dann hat man den Dadaismus verstanden. Er abstrahiert die Worte zugunsten ihrer Klangfarbe, um so Verse mit makelloser Wortmelodie zu kreieren. Im dadaistischen Gedicht zerfließt somit die Grenze zwischen Lyrik und Instrumentalmusik. Beides besteht nur noch aus Rhythmus und Melodie.
Wenn nun ein Gedicht mehr als nur eine gesprochene Lautmalerei sein und einen sinnvollen Inhalt haben soll, so ändert das nichts an dem Umstand, dass darunter die obengenannten Kriterien nicht allzu sehr leiden dürfen. Am besten überhaupt nicht! Genau das ist eben die Kunst des Dichtens, genau die Worte zu finden, die diese Kriterien erfüllen und die dann zugleich einen sinnvollen Inhalt, bestenfalls sogar einen interessanten Inhalt haben.

Die nächste Beschäftigung gilt daher den Worten. Die Wortbetonungen, die für die Metrik des Gedichts verantwortlich sind, hatte ich ja soeben behandelt.
Außer der Betonung trägt ein Wort auch ein charakteristisches Klangbild. Man kann dieses musikalisch mit einer Tonhöhe oder Tonfolge vergleichen. Einer der häufigsten Fehler angehender Autoren gereimter Gedichte ist es, in einem Reimlexikon nachzuschlagen und sich dort ohne Beachtung seines Klangbildes das Reimwort herauszusuchen, das den gewünschten Inhalt am konkretesten wiedergibt. Das ist leider der falsche Weg und das Hauptargument der Verfechter ungereimter Lyrik, denn ein ohne Berücksichtigung seiner Klangfarbe herausgesuchtes Wort kann die bereits mühsam aufgebaute Stimmung des Gedichtes völlig zunichte machen. Oft ist das Wort, das den gewünschten Sinn am zweitbesten wiedergibt, auf Grund seines besser passenden Klangbildes die bessere Lösung.
Es spielt dabei auch eine Rolle, wie viele Silben ein Wort hat. Wer gereimte Gedichte schreibt, bemerkt sehr schnell, dass verschiedensilbige Worte, die sich einzeln gut miteinander reimen, im Kontext eines Gedichtes einfach nicht passend klingen. Die Silbenzahl bedingt auch die Klangfarbe des Wortes, so klingen einsilbige Worte stumpf (z.B. Maus), zweisilbige Worte melodisch (z.B. singen) und dreisilbige Worte neutral (z.B. begleitet). Einzeln gesprochen mag das egal sein, aber innerhalb eines fließenden Textes muss jedes Wort 'wirbelfrei' in den Gesamt-Sprachfluss passen.
Die Aufgabe des Poeten besteht nun darin, ein Wort zu finden, das den gewünschten Sinn transportiert, aber auch vom Klang zum Gedichtsvers passt. Und hier scheitern viele Autoren. Sie wollen den vorgesehenen Sinn erzwingen und pressen Worte in den Vers, die vom Klang nicht zu ihm passen. Als einfaches Merkmal mag gelten, ein Vers ist gut, wenn ihn auch ein ungeübter Sprecher direkt laut lyrisch lesen (man beachte: 'laut lyrisch lesen' ist ein Stabreim) kann. Muss er sich darauf konzentrieren, die Betonung und den Wortklang hinzubiegen, ist die Verszeile bestenfalls mittelmäßig.

Um das Thema Wortfindung abzuschließen, 'der Wortklang ist wichtiger als der Wortsinn'. Lieber das vom Sinn her passende zweitbeste Wort, das klangmäßig stimmt, als das beste Sinnwort, das den Vers holpern lässt. Und eines sollte der Dichter immer akzeptieren, dass sich das Gedicht unvorhergesehen in eine andere thematische Richtung entwickelt, als er es zuvor eingeplant hatte. Gedichteschreiben hat eine gewisse Eigendynamik. Lieber ein ungeplantes aber saugutes Gedicht über eine missglückte Liebe, als ein sauschlechtes Liebesgedicht, nur weil man gerade ein solches benötigt. Das dann einfach auf's nächste Mal vertragen. Wenn man in der richtigen Stimmung ist, klappt es auch.

Nun komme ich zu dem Thema, das in den Augen von beginnenden Gedichtautoren das wichtigste überhaupt ist, die äußere Gedichtform. Hier gibt es unendlich viele Möglichkeiten, denn es gibt eigentlich keine konkrete Vorschrift für eine Gedichtform. Es haben sich einfach im Laufe der Zeitgeschichte bestimmte Formen verbreitet.

In der klassischen Literatur gab es noch keinen Endreim. Eine bestimmte Anzahl von Versfüßen, bzw. deren Verknüpfung bestimmte die Art des Gedichtes. Im alten Germanenreich entstand der Stabreim und erst im Mittelalter entwickelte sich in den lateinischen Kirchenliedern der Endreim. Die moderne Literatur hat sich dann wieder etwas vom Endreim entfernt, was zwei Ursachen hat.

1. Schaut man sich heute die gereimten Gedichte manch eines berühmten Dichters der Romantik oder Klassik an, so erscheinen sie durchaus nur mittelmäßig. Ich hatte ja beschrieben, wie schwer und langwierig es sein kann, ein gutes Gedicht zu schreiben, bei dem sich die Metrik, der Wortklang und der Wortsinn makellos ergänzen. Kommt nun noch hinzu, dass sich die Endworte der Zeilen auch noch reimen sollen, so kann man sich leicht vorstellen, dass das meistens nicht ohne Kompromisse mit Inhalt, mit Versmaß oder Wortklang möglich ist. Also bleibt man lieber beim Machbaren und verzichtet auf den Reim zu Gunsten des aus Sicht der Metrik, des Klangbildes und des Inhalts besseren Gedichts, was allerdings nicht bedeutet, dass ein Gedicht, bei dem Metrik, Klang, Inhalt und Reim makellos sind, nicht noch besser wäre, - aber eben auch sehr viel schwerer.

2. Spielt es heute mehr denn je eine Rolle, Gedichte in andere Sprachen übersetzen zu können. Ist ein Dichter in einem Land für seine Lyrik berühmt, so findet das sofort eine Nachfrage in einem Land mit anderer Sprache. Muss man nun bei der Übersetzung des Gedichtes nur auf Versmaß, Wortklang und Inhalt achten, so ist eine Übersetzung meistens gut möglich. Müssen sich dann aber noch zu jedem Endreim des Originalgedichtes Endreime in der fremden Sprache finden, die den gleichen Inhalt unterstützen, so erreicht man recht schnell den Punkt der Unmöglichkeit.

In der modernen Lyrik überwiegen daher Gedichte ohne Endreim.

bekannte Gedichtformen































































































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Dem Kaktus steht sein Name nicht...: kleine Anleitung zum Schreiben von Lyrik